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Namenlos

Namenlos
Wie ein Teen grub er mit seinem Fuß zwei geschwungene Linien in den frisch gefallenen Schnee.

Als Heranwachsender besaß er eine dünne silberfarbene Kette. Sie hatte keine Funktion für ihn gehabt. Er trug keine Halsketten, und wie sie in seinen Besitz gekommen war, erinnerte er sich nicht. Aber er wusste noch, dass er immer wieder versucht hatte, mit der feinen Kette den Namen seiner großen Liebe nachzuzeichnen. Als ob er ihr dadurch hätte näher kommen können … was für ein Unsinn, was für verschwendete Zeit.

Und jetzt stand er im nahe gelegenen Park und malte mit seinem Fuß zwar keinen Namen … Nein, keinen Namen. Gab es diesen nicht oder ließ er ihn nicht an sich ran? Vielleicht hatte das Leben so etwas für ihn nicht vorgesehen. Einen Namen, der untrennbar mit ihm verbunden sein würde.

Für einen Moment zweifelte er, ob ihn je ein Mädchen, eine Frau wirklich geliebt hatte … einfach geliebt, „weil“ und nicht „obwohl“. W e i l er so war wie er ist. Wenn dem so gewesen sein sollte, musste etwas an ihm gewaltig an Strahlkraft verloren haben; wie sonst konnte letztlich das „obwohl“ die Oberhand gewinnen. Was war es, das die Liebe verloren gehen lässt?

„Ich liebe dich“. Diese Worte hatte er gehört, ja: meist am Telefon oder zum Abschied. Selten waren sie völlig überraschend gefallen und noch seltener mit seinem Namen verbunden. Als bedeute es zu viel an Nähe, diesen auszusprechen. Vielleicht wäre es ihm dann möglich gewesen, sich endlich fallen lassen zu können.

Fraglich, dass außer ihm jemand seine Gedanken verstehen könnte. Wie sollte dies auch möglich sein. Sie waren einfach da. Ungefragt schwirrten sie in seinem Kopf. Er spürte, dass er sentimental wurde. Vielleicht lag es am Jahresende. Am Datum, der Uhrzeit, dem Schnee. Den anziehenden Lichtern, die warm aus den Fenstern der umliegenden Altbauten schimmerten. Und an den Pärchen, die er sah, diesen Pärchen, die Namen haben.
 
Sein Blick wanderte zu der kleinen, stolzen Burg, die den Park prägt. Es ist ein wunderschöner Ort. Riesige Bäume verdecken die alten Gemäuer gerade so weit, dass sie die Fantasie des Betrachters anregen. Mysteriös, romantisch, friedvoll. Das flauschig glitzernde Weiß schimmerte. Der Zauber hielt ihn gefangen, doch war es ein Zauber, den er mit niemandem teilen konnte.

Langsam kroch die Kälte in ihm hoch. In wenigen Stunden würde das neue Jahr beginnen. Er zitterte ein wenig. Dann befreite er mit wenigen kräftigen Tritten seine Schuhe vom aufgestauten Schnee. Fröstelnd entschied er sich für den Weg nach Hause.

Kommentare

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(Nutzer gelöscht) 30.12.2022 18:54
Und wieder sehr bildlich und schön geschrieben… ich konnte „ihn“ sogar sehen und auch die Umgebung in der er sich befand…

Tom, schreib Bücher, du kannst echt toll schreiben…
 
Verzauberer 30.12.2022 18:59
rodondo@
Echt schön geschrieben und muss Kaida beistimmen.
Du solltest Romane schreiben,du hast ein Talent dafür👍
 
(Nutzer gelöscht) 30.12.2022 19:03
Schön☺
 
rodondo 01.01.2023 12:27
Mit dem Schnee zu Silvester habe ich tatsächlich viel Fantasie bewiesen 😅

Ansonsten schauen wir doch mal, was das neue Jahr so bringt. Ein Name wäre nicht schlecht 😉
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